280 tote Bauern und ein geheimnisvoller Kalbsbaum
Main-Echo Pressespiegel

280 tote Bauern und ein geheimnisvoller Kalbsbaum

Heimatgeschichte: Arbeitsgruppe des Regionalgeschichtlichen Netzwerks Nordost-Spessart sucht weiterhin nach Hinweisen zum Bauernkrieg
FRAMMERSBACH/WIESEN/LOHRHAUPTEN  Von un­se­rem MIt­ar­bei­ter HOL­GER SEN­ZELWas ge­schah am Kalbs­baum zwi­schen Fram­m­ers­bach, Wie­sen und Flörs­bach­tal? Das ist ei­ne der Fra­gen, mit der sich die Mit­g­lie­der ei­ner Ar­beits­grup­pe des Re­gio­nal­ge­schicht­li­chen Netz­werks Nor­d­ost-Spess­art be­schäf­ti­gen. Die Be­ge­ben­hei­ten am Kalbs­baum er­eig­ne­ten sich 1525 im Bau­ern­krieg. Dieser wiederum ist das Thema, mit dem sich die Arbeitsgruppe des Netzwerkes eingehend befassen will.
Initiatorin der Arbeitsgruppe »Bauernkrieg« ist Anita Schuldt aus Hasselroth. »Bisher gibt es für unsere Region keine Sammlung, keine Zusammenfassung der Ereignisse, der Proteste, Kämpfe und Aufstände im Bauernkrieg. Diese Lücke wollen wir helfen zu schließen«, sagt Schuldt. Der Bauernkrieg sei die große Volksbewegung am Ende des Mittelalters gewesen. »Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte vereinigten sich verschiedenste Gruppen und Stände zum gemeinsamen Kampf gegen Willkür und Machtmissbrauch der kirchlichen und der weltlichen Herrscher«, erklärt Schuldt.
Kampf um Rechte
Größtenteils waren es abhängige Bauern, die den Kampf aufgenommen hatten, aber auch Angehörige des niederen Klerus, Rechtsgelehrte, städtische Bürger, Bergleute, Adlige und Ritter, wie Florian Geyer, der am 9. Juni 1525 bei Hall für die »Große Sach kämpfend« fiel. Begonnen hatten die Unruhen schon am Ende des 15. Jahrhunderts. In zahlreichen kleineren und größeren Aufständen versuchten die »Haufen«, wie die Rebellen sich selbst nannten, ihre in zwölf Artikeln formulierten Rechte durchzusetzen. Ausgehend vom südwestlichen Deutschland breiteten sich die Aufstände sehr schnell auch in Richtung Norden und auch in unsere Region hin aus. Aus vielen Orten rechts und links des Mains gibt es Berichte darüber, besonders heftig war es um Rothenburg ob der Tauber und in und um Würzburg.
Dass auch unsere Region nicht unbeschadet davongekommen ist, darauf stießen unter anderem Udo Weiß und Paul Reinert aus Lohrhaupten, als sie die sogenannte Hoffmannkarte aus dem Jahr 1584 eingehend studierte. Dabei stießen sie auf einen Eintrag zu einer schrecklichen Bluttat, die zwischen Frammersbach, Flörsbachtal und Wiesen geschehen sein muss. In dieser Karte ist ein seltsam geformter Baum ohne Blätter eingezeichnet, der den rätselhaften Namen »Kalbsbaum« trägt. Daneben hat der Kartenzeichner Elias Hoffmann schriftlich festgehalten: »Alhie bei diesem Kalbsbaum so ein hoher langer stein ist gewest sind Anno 1525 ein antzahl Bauern erschlagen worden.«
Auf einer weiteren historischen Karte, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts angesiedelt ist, fanden die Forscher weitere Informationen. Auch hier ist der Kalbsbaum eingezeichnet, mit dem Hinweis, dass hier 280 Bauern erschlagen wurden. Daneben ist in der Karte ein Stein. »Das muss ein Gedenkstein mit eingemeißelten Kreuzen gewesen sein«, sind sich die beiden Forscher sicher. Für jeden getöteten Bauern soll hier ein Kreuz abgebildet gewesen sein.
Der Stein muss wie ein Obelisk ausgesehen haben, denn es ist in der Hoffmann-Karte von einem »langen Stein« die Rede. Die Art, wie der Kalbsbaum in der Hoffmannkarte eingezeichnet ist, gibt allerdings einen gewissen Aufschluss. Denn der Kartenzeichner hat ihn kahl, ohne Blätter, dick in roter Farbe aufgeführt. Dieser Ort muss eine gespenstische Ausstrahlung gehabt haben. Passend zu der Auffassung in jener Zeit, als man glaubte, dass Bäume, die als Galgen dienen, keine Triebe mehr hervorbringen.
Das Ganze ist umso interessanter, als es auf heutigen Karten keinen Hinweis auf diese Stelle gibt. Niemand aus den anliegenden Dörfern wusste etwas dazu zu erzählen und auch der Gedenkstein ist verschwunden. Allerdings ist man auf der Suche nach der historischen Stelle, an dem der Gedenkstein stand, auf ein Steinfundament gestoßen. Der Ort befindet sich neben der Landstraße von Frammersbach nach Wiesen.
Niemand weiß, ob es sich bei den getöteten Bauern um Flörsbachtaler, Frammersbacher, Wiesener oder auswärtige Bauern handelte. Außer den Hinweisen in den historischen Karten sind bislang keine weiteren Quellen hierzu bekannt. Allerdings hat Weiß inzwischen bei seinen weiteren Recherchen in alten Urkunden einen Eintrag gefunden, der das Leid von Frauen aus dem Joßgrund beschreibt, die darüber klagen, dass ihre Ehemänner umgebracht wurden.
»Wir sind weiterhin am Sammeln von Informationen, Urkunden und Niederschriften zum Bauernkrieg«, erklärte Weiß. Wer solche Informationen hat oder bei der Arbeitsgruppe »Bauernkrieg« mitarbeiten möchte, der kann sich bei Anita Schuldt (E-Mail: anita.schuldt@t-online.de) melden.

10.03.2023
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